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"Jetzt bin ich eine Leiche und weiß nicht, wo ich meine Seele habe, und ob ich je eine hatte. Ein Loch im Körper habe ich, quer hindurch, und durch das Loch weht die Kälte rein."

Nacht
Ein polnischer Gauner wird bei einem Raubüberfall von einem deutschen Juwelier erschossen und kehrt als Leiche heim. Ohne Beute und ganz ohne Herz, weil Transplantate knapp sind. Der Juwelier benötigt ein neues Herz. Im OP beginnen die Seele des slawischen Diebs und der Körper des Deutschen mit dem polnischen Herzen einen gespenstischen Dialog.

In einem wortgewaltigen Stimmengewirr von Chören und Dialogen jagt Stasiuk den lebenslustigen, kleinkriminellen polnischen Versager auf den hygienebesessenen, autoritätshörigen, mörderischen Erfolgsdeutschen und umgekehrt; lässt Polenchöre inbrünstig über Russen und Schwule herziehen, während der deutsche Juwelier von Sturzkampfflugzeugen schwärmt. Doch am Ende siegt das gegenseitige Verstehen wollen über das Vorurteil.

Künstlerische Leitidee der Inszenierung ist die Selbstaussage des Autoren, der zuhause in den Beskiden die Geister vernommen haben will, die ihm in nächtlich singenden und klingenden, zu rauschenden Chören anschwellenden Stimmen zur „Nacht“ inspirierten. Dabei steht das pulsierende Herz Polens als dynamische Bildmetapher zwischen den slawo-arteriellen Blut- und den germano-venösen Sach-Strömen und gibt der transdisziplinären Inszenierung ihre Perspektive. Die Schauspieler verkörpern mehrere Rollen und sprechen chorisch. Der Text wird musikalisch erfasst und mit Gesang, Saxophon und Klarinette in einen improvisierenden Dialog mit der Handlung gebracht.



Kritik "Roboter mit Herz"
Matthias Heine/Prenzlauerberg Nachrichten/Kultur


(...) die Röcke entpuppen sich als multifunktionale Kostümbestandteile, mit deren Hilfe sich die Schauspieler auch mal in kopftuchtragende polnische Kirchen-Omas verwandeln können. Und auch die Musik passt sich den vielen, vielen Geschichten an. Die vier Darsteller sprechen alle Rollen, mal einzeln, mal chorisch, mal singen sie – z. B. die Namen französischer Autos, die kein Pole mitnehmen will und für die dennoch die noch ärmeren Moldawier ihre Organe in den Westen verkaufen müssen. Das tun sie mit viel Verve, und Stasiuks Stück ist dabei so komisch und manchmal rührend, dass man nach einigen Minuten sowohl die gewöhnungsbedürftigen Kostüme als auch das karge Bühnenbild von Florian Guist – eine einzige schmale Metallrampe – nicht mehr als solche wahrnimmt. Wie von der Regisseurin Elzbieta Bednarska beabsichtigt, verwandeln sich diese Requisiten in der Vorstellung des Betrachters mal in deutsche Arztkittel im OP, mal in die Lederjacken junger Diebe, die mit gestohlenen Wagen durch ihre „halbwilden Städte“ rasen, und dann wieder in das dreistöckige Haus des Juweliers, dessen oberstes Stockwerk der dicke Mann aber aus lauter Herzschwäche schon lange nicht mehr betreten kann.

Eineinhalb Stunden braucht man, um ein Huhn zu braten – Russen vermutlich etwas weniger. In der gleichen Zeit hat die Seele des jungen polnischen Gauners im Ballhaus Ost ihre Ruhe gefunden. Darüber, dass er dafür sein Herz verlieren musste wie ein Huhn, das man zum Kochen ausnimmt (außer bei Russen, die essen es bestimmt gleich mit – glaubt man den polnischen Müttern) möchte man lieber nicht allzu lange nachdenken. Sonst käme man noch auf den Gedanken, Organtransplantation sei eine Art Kannibalismus. Das sind so Ideen, auf die einen dieses wunderbar wild fantasierende Stück bringt.

© Fotos: Roger Rossel



Regie
Elzbieta Bednarska

Schauspiel
Paolo Masini
Frank Müller
Richard Schnell
Johannes Stubenvoll

Gesang und Stimmeffekte
Sophie Tassignon

Saxophon und Klarinette
Peter van Huffel

Austattung
Florian Guist

Kostüme
Florian Guist & Josefine Lindner

Licht
Jana Leheis

Vorstellung
29.12.2010/ 19.30h, Theaterkapelle/ Berlin  >>

Premiere
13.01.2011, Ballhaus Ost  >>

Weitere Vorstellungen
15. & 16.01. / 03. & 04.02.2011, Ballhaus Ost  >>

Fotos

Klangeindruck aus der Inszenierung Nacht – radio.szczecin.pl

Interview mit Elzbieta Bednarska über "Nacht" mit dem polnischen Radiosender Dwójka - polskieradio.pl >>

Flyer (.pdf/ 152kb)